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Samy Deluxe - Poesie Album

Samy Deluxe war längst eine etablierte Größe, als er im Sommer 2011 sein viertes Soloalbum „SchwarzWeiss“ herausbrachte. Wie im vorherigen Album „Dis wo ich herkomm“ bedient er sich anderer Musikstile und bleibt trotzdem eindeutig HipHop.

 

Beat

Der Beat ist zunächst ein Klischee eines akustischen Popsongs: eine Gitarre und ein Bass spielen ein Bicinium im typischen Charlestonrhythmus, welches zunächst wie eine Ballade wirkt. "Poesie Album" steht in Dur, was in Rapmusik vergleichsweise selten vorkommt. (Weitere Beispiele sind „Hard Knock Life (Ghetto Anthem)“ von Jay-Z, "Scotty beam mich hoch" von Marteria und „Gustav Gans“ von den Beginnern.)

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Nach und nach treten weitere Bestandteile einzeln hinzu. Die Drums sind ebenfalls zunächst ein akustisches Drumset – erst ab 0:51 (bei der Textstelle „nun ist es da“) wird die Kick elektronisch verstärkt. Die HiHat setzt erst ab 1:20 mit Zweiunddreißigstelnoten ein.

 

Text

In völligem Kontrast zum melancholischen Beat setzt Samy Deluxe direkt im beschleunigten Rhythmus mit dem Rap ein. Es folgt eine Demonstration seiner Rap-Fähigkeiten: Doubletime, Chopperstyle, Triolen, Sprechgesang, Gespittet, Doppel- und Tripelreime, Binnenreime, Vergleiche etc.

Einige der Passagen erwecken den Eindruck, als wären sie gefreestylet. Dies erklärt sich durch eine Aneinanderkettung unterschiedlicher Bestandteile. Als Beispiel sei hier folgende Stelle aus der ersten Strophe erwähnt (beginnt ab ca. 0:38).

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Als viersilbrige Reimkette von „unter Vertrag“, „Nummer parat“, „Hunger gehabt“ reiht sich anschließend „runtergela-„ ein – jedoch hängt die letzte Silbe „-den“ in die nächste Line über. Diese Technik der überhängenden Silben ist seit der Boom Bap-Epoche üblich geworden. Nun kettet Samy Deluxe jedoch dieses mit der gleichen Silbe „Denn“ an. Gleichzeitig übernimmt er für diese Line den zufälligen Triolenrhythmus, der sich bei „runtergeladen“ ergeben hat, und wechselt plötzlich in einen triolischen Rhythmus. Zur nächsten Zeile „nun ist es da“ und „unmittelbar“ reimt sich zufällig „hundert Karat“, erstmal ohne einen inhaltlichen Zusammenhang herzustellen. Die Begründung folgt erst danach: „Warum ich das sag? Ich bin so brillant“. Auf die triolische Aufzählung „phänomenal“ und „fundamental“ folgt der Reim „radikal“, welcher aufgrund der Silbenanzahl nun wieder im duolischen Rhythmus stehen muss. Somit taucht daraufhin keine Triole mehr in den nächsten Takten auf.

Dieses spontane Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Stilen und Rhythmen ist dem Freestyle nachempfunden, den Samy Deluxe wie kaum ein anderer bekannter Rapper beherrscht (ähnlich wie Blumentopf und Kay One). Die One-Take-Wonders und einige Freestyles auf Bühnen sind eindrucksvolle Zeugnisse hiervon.

Mit Sicherheit nicht gefreestylet sind jedoch solch komplexe Reimschemata wie das folgende:

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Dem Hörer ist nicht klar, was Haupt- und was Binnenreim ist, und es schwirrt einem der Kopf vor lauter Mehrfachreimketten – ähnlich wie in „Hypnotize“ von The Notorious B.I.G.

 

Fazit

Letztlich unternimmt Samy Deluxe nicht den Versuch, den poppigen Beat mit dem komplexen Rap zu vereinen. Vielmehr stehen Pop und Rap, langsam und schnell, Battlerap und Concious-Rap beziehungslos nebeneinander, ohne jedoch zerrissen oder gespalten zu wirken (anders als beispielsweise bei Bushido mit seinen melancholischen Beats und harten Straßentexten). Dem Rezipienten wird die Entscheidung überlassen, wie gehört werden soll: Ob man dazu tanzt, weint, mit dem Kopf nickt oder alles drei zusammen, kann jede*r selbst wählen. Samy Deluxe kann alle Sparten bedienen und ist längst nicht mehr nur interessant für eingefleischte Rapfans.

Dieser Text ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

2024 Daniel Hikaru Grote

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